Apparate und Architektur I

Der Weg vom Labortisch zum Freiversuch

Marconi führte seit 1897 zahlreiche öffentliche Demonstrationen im Freien durch, wie am Bristolkanal. Dabei sind die Einzelteile seiner Sendeanlage klar zu erkennen. Der eigenartige kistenartige Schutzbau im Bildvordergrund umschließt wohl die eigentliche Sendeapparatur. Zu dieser Kiste geht eine elektrische Zuleitung von der Batterie im rechten Bildvordergrund und ein Kabel aus dem Souffleurkastenähnlichen Gebilde, in dem sich Marconi, Slaby und weitere Teilnehmer der Demonstration befinden. In ihrem Kasten haben die 4 also offenbar eine Morsetaste, ein Kohlemirkofon oder dergleichen, um das eigentliche Signal zu geben, das die Sendeapparatur dann verstärken und abstrahlen soll. Zur Spitze der Klippe am rechten Bildrand sind mehrere Drähte gezogen, dort kann man die Antenne vermuten.
Die Rede ist um 1900 noch nicht von der Antenne, sondern von einer "senkrechten Leitung". Die Pioniere verwendeten tatsächlich bis in unser Jahrhundert hinein an Ballons aufgehängte senkrecht stehende oder hängende Drähte für ihre Experimente. Als Antennenträger für Versuche kommen vor allem Schiffsaufbauten und Leuchttürme in Frage, die bereits optischen Methoden zur kabellosen Kommunikation dienten.

2. Die Apparate werden seßhaft

Die erste wesentlich neue Architekurform, die uns der Rundfunk nach Dimensionierung der nötigen Parameter beschert, ist die Antenne.
Fessenden benutzt 1906 in Brant Rock ein zylindrisches Stahlrohr als Antenne.In Nauen finden wir 1906 einen 100m hohen Stahlgittermast. Seinen Halt bekommt der Mast durch Abspanndrähte, die in um den Mast verteilten Betonfundamenten verankert sind. Auf den Wiesen um das Hauptgebäude von Nauen blieb nach dem Entfernen der Masten und Drähte eine bizarre Kunstlandschaft zurück.
Die Versuchsapparaturen haben also die privaten Labore und die der technischen Hochschulen verlassen. Neuerungen in großer Zahl und schneller Folge werden an allen Stationen konkurrierend nachvollzogen und probiert. Diese finden praktischerweise in Barackenanbauten Platz. Bereits die einfachsten Provisorien bringen eine feste Zahl von Funktionsbereichen unter ein Dach: 3. Die Inszenierung der Sendeapparatur

Die Großfunkstelle Nauen ist auch im Selbstverständnis der Betreiber eine Inszenierung der Apparatur. Von der gewaltigen Antenne als Fernwirkung bis zur Ausrichtung der Gartenanlagen und dem Weg des Besuchers quer zur, nach Togo zielenden Antennenachse in den Sendesaal- alles ist auf den Zauber der Apparate hin ausgelegt. Die eigentlichen Sende- und Empfangsplätze, die den Inhalt des elektromagnetischen Feldes, das im wahrsten Sinne des Wortes bis ans Ende der Welt reicht, bestimmen, sind, durch einen Nebeneingang erreichbar in 2 kleine Räume in einer Ecke des Obergeschosses abgedrängt. Die o.g. räumliche Trennung von Funktionsbereichen des Funkhauses als Grundlage für die Herausbildung einer Funkhausarchitektur, wo das Verfassen und Produzieren der Sendungen im Mittelpunkt stehen würde und nicht die nackte Sendeapparatur, wie es ja in Nauen der Fall war, hatte vor allem technische Gründe. Die Sendeanlagen waren seit 1920 so leistungsstark, daß ein Empfang im gleichen Hause rein technisch unmöglich wurde. Die Empfangsanlage von Nauen arbeitete deshalb in Geltow bei Potsdam. Von einer Betriebszentrale in Berlin aus bediente die Post die Funkstationen über Kabel fern. Durch diese strenge räumliche und zunehmend auch wirtschaftliche Trennung von Inhalt und technischer Abwicklung des Ausstrahlens ist nun Raum vorhanden, den Informationen im Äther neue Strukturen und Inhalte zu geben.

4. Raum für Versuche mit Rundfunkproduktionen

Die Experimente finden jetzt auf einem anderen Feld statt, nämlich dem inhaltlichen. Neben ersten Versuchen mit Nachrichtensendungen spielt Musik und Hörspiel sehr schnell eine große Rolle. 1924 strahlte die BBC von dort das wahrscheinlich erste Hörspiel der Rundfunkgeschichte "Danger" von Richard Hughes aus. Innenaufnahmen der Studios dieser Zeit strahlen eine fast wohnliche Atmosphäre aus. Ähnlich der Wechselwirkung zwischen Apparat und Sendeversuch in den vergangenen 2 Jahrzehnten findet nun eine Wechselwirkung zwischen Programm und Studio statt.
Raum für das Studio der Berliner "Funk-Stunde" wurde 1925 im "Vox-Haus" in der Potsdamer Straße durch den Ausbau des Dachgeschosses gewonnen. Fast der gesamte Dachstuhl wird vom bisherigen "Sendeplatz" eingenommen. War dieser Funktionsbereich in Nauen noch auf einem Tisch unterzubringen, so umfaßt das Studio der Funkstunde gleich mehrere Räume. Lediglich der kleine Raum am hinteren Ende des Dachgeschosses scheint noch auschließlich den Sendeapparaten vorbehalten zu sein.
Im Rahmen der "Berliner Funkstunde" wurde am 18.3.1930 das im Seminar gehörte Hörspiel "Der Ozeanflug" von Brecht ausgestrahlt. Thema des Hörspiels ist das Raum-Zeit-Verhältnis, nämlich die waghalsige Ozeanüberquerung durch Charles Lindbergh am 20. Mai 1927. Die Form des "Ozeanflugs" nennt er "radiophone Kantate". Instrumente bekommen Darstellereigenschaften, so stellt ein Baritonsaxophon den Motor Lindberghs dar. An anderen Stellen überwiegt der Charakter von assoziationsgeladener Filmmusik. Der Cyberspace mit seinen Schnittstellen Datenhelm, -handschuh und -anzug ist heute genau so alt, wie es damals für Brecht, Weill und Hindemith das Radio war, nämlich ungefähr 7 Jahre!