Ätheropern – Kultbauten um das Mikrofon

Im letzten Vortrag zur Herausbildung des "Funkhauses" kam die Notwendigkeit des Festlegens von Parametern für die Architekten zur Sprache. Am Ende der zwanziger Jahre, nach fast einem Jahrzehnt Radioerfahrung kann man vom Vorliegen der ersten erprobten Parameter sprechen, die zum Entwurf eines "Funkhauses" als eigenständiger Bauaufgabe nötig sind. Diese führten beispielsweise zu Architekturwettbewerben. Im Mittelpunkt der großen und prächtigen Funkhäuser steht der kultische Weg des Publikums in den Sendesaal, in den umbauten Raum der Mikrofone. Das teilte sich offenbar bereits den Eröffnungsgästen mit. Max Osborn 1931 zum "Haus des Rundfunks":"Den Umriß des Ganzen bildet eine dreieckige Anlage, ...In dem gewaltigen Raum, den diese Dreieckschenkel freilassen, sind nun als zentrale Anlagen die großen Säle gesetzt, die ein Funkhaus braucht. Von dem durch alle vier, fünf Geschosse geführten Lichthof, den man sogleich am Eingang betritt, gehen diese Säle strahlenförmig aus. [...]"1 Die Rationalisierung und Perfektionierung des Produktionsprozesses bringt einerseits völlig neue Grundrißlösungen und gleichzeitig neue bautechnische Anforderungen an die Entwürfe.Die drei, durch Höfe voneinander getrennten, Sendesäle sind zu allen Außenseiten des Gebäudes hin von Bürotrakten umgeben. Die drei Säle sind außerdem noch einmal mit schallisolierenden Gängen umgeben und nach oben hin doppelt bedacht. Auch der Innenausbau ist auffällig. Ein Saal ist mit drehbaren Holzpaneelen ausgekleidet- auf einer Seite schallschluckendes Gewebe, auf der anderen Seite reflektierendes Holz. Der zweite Saal war völlig mit grünem Stoff ausgeschlagen und der große Saal vorerst unausgebaut, um experimentieren zu können. Allen Sendesälen gemein ist die Trichterform. Der Typus Funkhaus ist nun gefunden, vor allem was räumliche Details und strukturelle oder mit bautechnischen Lösungen realisierte Zusammenhänge zwischen ganz speziell genutzten Räumen angeht.
Die in den Kommentaren zum Haus des Rundfunks erwähnte Trichterform ist auch das erste, was beim Betrachten der Grundrisse des Sendezentrums in der Johannistaler Nalepastraße ins Auge fällt. Ebenso findet der Betrachter die Doppelwandigkeit der großen Sendesäle und kleinerer Studioräume, die sich, wie der Schnitt zeigt, bis in die Fundamente fortsetzt,wieder. Auch ist der Weg zum großen Sendesaal über einen Kollonadengang im Garten, der im Innern durch eine Säulenhalle bis zur Treppenanlage mit oberem Foyer fortgesetzt wird, großzügig inszeniert. Einzigartig ist an Johannistal die Kombination der technisch geprägten Strukturen und Räumlichkeiten mit neoklassizistischen Architekturelementen. Für die Innenräume bedeutet dies eine überraschende Zurücknahme des technischen Studiocharakters. 6. Absolute Beweglichkeit für das Mikrofon Die bereits besprochene und schon lange zum Vorteil des Rundfunks vollzogene Trennung von Antenne und Sendeapparatur von der Rundfunkproduktion wird immer weiter fortgesetzt und sie führt schon bald zu der Beweglichkeit des Mikrofons als "Radio-Ohr", von der die Pioniere in den 20er Jahren schwärmten. Das hat zwei wesentliche Folgen:
Das"Funkhaus" bekommt so eine völlig neue Rolle. Die intelligente redigierende und moderierende Schnittstelle zwischen den originären Informationsquellen. Zu koordinieren sind Informationen aus Übertragungswagen, von aufgeschalteten temporären Sendeorten, aus Musik- und Tonarchiven und Bibliotheken im Hause oder im Datennetz und aus weiteren medialen Netzen, wie Telefon etc. Die gewonnene Beweglichkeit von Teilbereichen des Funkhauses widerspiegelt sich auch in der architektonischen Erscheinung von Rundfunkgebäuden. Es ergibt sich aber eine hochinteressante Überschneidung zwischen allgemeiner Architekturentwicklung und technisch-strukturellem Werdegang des Radios. Beispiele für solche Bauten sind zB das ORF-Zentrum in Wien von Roland Rainer (1968-75) und das Yamanashi- Kommunikationszentrum in Kofu von Kenzo Tange. (1966) 7. Minimierung und völlige Technisierung Bürohäuser werden zugunsten späterer Flexibilität mit gerasterten Stütz-, Erschließungs- und Fassadenstrukturen konzipiert. Die Folge ist, das der Betrachter den nach außen gesichtslosen Häusern mit einheitlichen Fassadenrastern weder ihre Funktion noch ihre internen Strukturen ansehen kann. Dieses Phänomen ist auch bei Funkhausbauten zu beobachten.Parallel dazu schreitet die starke Technisierung des Gebäudeinneren und die Minimierung des Raum- und Personalbedarfs durch die Verlagerung arbeitsintensiver Prozesse in immer kleiner werdende Apparate fort. Unterschiedliche Programmsegmente werden an unterschiedlichen Orten erstellt. Im Funkhaus erfolgt das Aufbereiten des genannten Materials und das Umsetzen weiterer Informationen von anderen Medien ins Medium Rundfunk. Die Grundlage des Selbstfahrerstudios war die Zerteilung des gesamten Sendeablaufs in technisch und wirtschaftlich voneinander unabhängige, durch technische Mittel rationell zu verbindende Prozesse. Solche Strukturen haben Auswirkungen auf die Produktion, aber natürlich auch auf räumliche Gegebenheiten, die bei Neu- und Umbauten die Produktion widerspiegeln. Im Ganzen läßt sich feststellen, daß ein Sender sich nicht mehr durch sein Funkhaus darstellt, sonders durch Allgegenwart im Sendegebiet. Radio ist ein Prozess, der schnellen Änderungen unterliegt, während individuelle Architektur nicht einfach so schnell und veränderlich sein kann. Spektakuläre architektonische Lösungen dieses Problems liegen noch nicht vor. Rundfunk versteckt sich hinter langweiligen Rasterfassaden inmitten von Dienstleistungs- und Bürozentren oder in provisorisch anmutenden Containern. Mit der Digitalisierung können schließlich physische Räume durch virtuelle Räume ersetzt werden, in denen Musik und Wortbeiträge oder O-Töne von beliebigen Orten aus auf Speichermedien zu finden sind, so daß die räumliche Nähe verschiedener Mitarbeiter oder Nutzungsbereiche überflüssig wird. Damit, so möchte ich schließen, wird auch der Bautyp Funkhaus neu zu definieren sein.